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Waterloo Exit

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Das Museum der Murtenschlacht, eigentlich eine alte Mühle, das gewaltige Mühlrad dreht sich träge und dunkel am Eingang. Um das Gebäude zu betreten, muss man in nicht geringer Höhe mittels einer kurzen Brücke über einen Schacht steigen, in dessen Tiefe schnelles Wasser auf die Schaufelblätter schießt und das Rad in Bewegung setzt. Es hat selten Leute in diesem Museum. Es ist zu unbekannt und wird nur in einem dünnen Touristenführer erwähnt, den die Gemeinde in kleiner Auflage herausgegeben hat. Drinnen riecht es nach altem Holz und einer bedrohlichen Zeitlosigkeit. Man bewegt sich leise, fast andächtig, wie als ginge man durch das Mittelschiff einer Kirche auf den Altar zu. In den gläsernen Vitrinen ruhen Fundstücke im Schein von Halogenlampen. Eiserne Pfeilspitzen, die noch heute im Boden zu finden sind, wenn die Bauern oberhalb der Stadt die Felder pflügen. Karl der Kühne verfügte über ein Kontingent an englischen Langbogenschützen, die ebenso wie seine anderen glücklosen Heeresteil

Epona

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Er sitzt auf einem Pferd, einem jungen, ungestümen Freiberger, dessen Glieder in voller Kraft stehen. Die Uniform ist neu und fühlt sich an wie eine feine Drachenhaut mit biegsamen Schuppen, unberührt von bitteren Zeiten. Dazu schwarze Schaftstiefel, die bis unters Knie reichen, und eine über den Ohren eng sitzende Mütze aus demselben feldgrauen Stoff wie die Uniform. An der linken Hüfte ein langes Bajonett, einem Schwert ähnlich. Seine Augen sind kaum zu erkennen, der Schirm der Mütze hat ihm einen Schatten auf Stirn und Blick gelegt. Nur die hohen Wangenknochen setzen eine harte Kante, an denen sich das Sonnenlicht brechen kann. Um den Mund aber spielt noch eine knabenhafte Weichheit, und den leicht geöffneten Lippen wollen vertraute Worte wie Brotbeutel und Daunendecke entweichen. Er steht im Kasernenhof, einem weißen Geviert von der Größe des väterlichen Weizenfeldes. Der schlimme Krieg ist vorbei. Man hat ihm zugesehen und gehofft, er möge seine Blutspur nicht über den Rhein zi

Nebelspinne und Astgewirr

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Im Westen schlingen sich grautrübe Schleier um die Gratabbrüche. Weiter hinten liegt eine schwere Dunkelheit, die bald hier sein muss. Kalte Windböen ziehen durch die zerklüfteten Seitentäler und wehen über die Wiesen in den Wald hinein. Es ist Abend, und in der Ebene des Tales fährt noch eine Bahn zurück in die Stadt. Die Wanderer, denen wir tagsüber begegnet sind - auf den schmalen Wegen oder in der Alpwirtschaft beim trüben Bier -, sind längst abgestiegen. Sie sitzen in der Gaststube der schindelgedeckten Pension beim Abendessen. Ab und zu geht ein Blick den Berg hinauf, als wolle man sich vergewissern, wirklich zurück zu sein, unten im hellen Leben und nicht oben, wo die Herrschaft menschenfremder Mächte ruht. Wir gehen durch die dunklen Föhrenwälder und spüren den Wind im Rücken und an den bloßen Beinen. Viel Zeit haben wir auf einem falschen Weg verloren. Sie fehlt uns nun, um ein sicheres Lager zu finden. Bedrückende Worte, die ich irgendwann in meiner Jugend in einem vergess

Mittsommer

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Das Gewitter schickt die Gäste heim. Wir sehen sie davonziehen mit ihren Schwimmringen und Sonnenschirmen. Sie halten die Hände ihrer Kinder, die nach oben schauen und sagen, da ist Feuer am Himmel, und die Mütter schauen auf ihre Kinder nieder und sagen, das ist ein Blitz. Langsam leert sich der Parkplatz. Unter den Blechdächern sind die Gäste sicher. Der hart klopfende Regen will sie nicht an der Rückfahrt hindern. Der Wind scheucht die Autos auf die Straßen. Es ist Sonntagabend. Eine Stunde für die Heimfahrt, vielleicht zwei, aber immer noch rechtzeitig zum Abendessen. Dann der Spielfilm im Fernsehen. Die Kinder dürfen bis zur vierten Werbepause schauen. Der Film ist wie die Ehe ihrer Eltern abzüglich der weißen Zähne, doch mit einem ebenso absehbaren Ende. Später im Bett werden sie sich an das weiße Himmelsfeuer erinnern, das die Sorgen an den kommenden Schultag aus ihren müden Köpfen brennt. Die schwarzen Wolkenburgen ziehen weiter, sie jagen den Autos hinterher und prallen auf d

Die Insel

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Auch wenn ich es damals noch nicht wusste, so weiß ich heute, dass die Insel der Anfang war. Wenn man klein ist, scheint anderes groß. Die Insel war groß - groß und schrecklich, meine erste Begegnung mit der Ewigkeit. Ewig vielleicht deswegen, weil alles andere verging, während die Insel blieb. Eine Schulreise, die Tasche mit dem Proviant umgehängt, die bunten Sonnenhüte, Ausgelassenheit im Postauto, beim Gänsemarsch durch das Städtchen, auch noch beim Parkplatz und beim Fußballfeld, selbst auf der schmalen Hafenbrücke. Dann aber entrückt die Welt, das rote Haar der Lehrerin brennt im Sommerlicht, Möwen lachen traurig, es riecht nach nassem Holz, nach Gestern, nach ziehenden Wolken. Ein Wind streift durch die Schilfwälder, die beidseits des Weges Moorfeldern entwachsen. Der Wind trägt Stimmen, ganz leise, niemand hört sie, nicht die Mitschüler, nicht die Lehrerin. Sieht sie nicht, dass ihr Haar brennt, dass grellrote Lohen ihr Gesicht ertasten? Sieht niemand die Welt eine andere wer